Wie viel Schwäche ist heute erlaubt? – Artikel vom 22.10.2014

Wir verbringen viel Zeit damit, unsere Schwächen auszumerzen; werden immer besser und geübter darin, perfekt zu erscheinen.

Schließlich möchte niemand einen Mitarbeiter haben, dem man seine Defizite sogleich ansieht. Und bereits in Bewerbungsgesprächen werden wir geschult, auf etwaige Fragen zu unseren Schwächen zwar eine zu benennen – keine zu haben, wäre sodann doch übermenschlich und das wissen auch die Personaler – diese aber so umzudeuten, als würde daraus sogar noch ein Gewinn für das Unternehmen erwachsen.

 

Der Zeitgeist bläst es omnipräsent in unsere Gesellschaft hinein: Sei perfekt! Habe keine Fehler! Sei dynamisch und immer gut drauf! Sei erfolgreich, mach keine Pause und sei immer der strahlende Mittelpunkt jedes Meetings.

 

Und manchmal glauben wir es dann auch selbst. Wir sind stark und ungebrochen; ja, wir können alles erreichen, wenn wir nur wollen und uns hartnäckig ans Erreichen unserer Ziele machen. Im Beruf und im Privaten, denn bei Freunden oder den anderen Eltern aus Kindergarten und Schule muss ich mich ähnlich verhalten. Und all dieses Verhalten kommt schließlich mir zugute. Ich erhalte Ansehen und Respekt. Bekomme Lob und Anerkennung und baue mir einen Status auf, der überdauern soll.

 

Wohin also mit meinen Schwächen? Wohin mit meinen Ängsten? Sie gehören zu mir ebenso wie meine Stärken und Hoffnungen. Sie verhelfen mir zu meinem stabilen Gleichgewicht. Nur in der Gewissheit, mich zu kennen und mich in der Gesamtheit, der Summe aller noch so kleinsten Bauteile zu akzeptieren, lässt mich reifen; auf diese Weise werde ich fähig, überdauernd gesund an Körper und Geist mein Leben fortzuschreiben.

 

Unsere Gesellschaft strebt nach dauerndem Fortschritt. In der unaufhaltsamen Technisierung und Robotisierung wird es uns fehlerhaften Menschen beispielsweise abgenommen, selbst einzuparken. Denn ein Sensorensystem am Auto kann das besser als sein Fahrer, der eventuell ja am anderen Wagen anstößt. Nicht einmal mehr hier können wir unsere eigenen Erfahrungen machen und weiterlernen.

 

Wir benötigen heute mehr denn je eine Kultur, die Fehler benennen und aussprechen darf. Wir brauchen Ruhezeiten und Ansprechpartner, die sich uns annehmen und mit denen wir unsere Mittelmäßigkeit, ja unsere Schwachheit, besprechen können.

 

Ein ständiges Tun als ob, kann nicht die Lösung sein und ein erfolgreiches Arbeiten an der eigenen Karriere benötigt ein stabiles Fundament. Es beginnt in der Akzeptanz der eigenen Schwächen und Ängste. So wird mir bewusst, dass sie mich keineswegs hemmen oder erstarren lassen vor meinen Aufgaben. Vielmehr tragen sie dazu bei, meine Richtung zu überdenken, mir Ruhepausen zu geben und konstruktiv meinen Weg fortzusetzen. So steht am Ende dieses Artikels die Frage: Wie viel Schwäche erlaube ich mir?

 

Es grüßt Sie recht herzlich

Wolfgang M. Ullmann

Wir benutzen Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit der Webseite zu verbessen. Durch deinen Besuch stimmst du dem zu.